Vereinigung für guten Städtebau

Meinungen

23.08.2023

Lesezeit: 3 Min.

«Hoher Baukultur muss ein übergeordneter städtebaulicher Rahmen zu Grunde liegen»

Ein Beitrag von Heidi Alder

Ich teile die hohe bedeutung von gutem städtebau, an dem es heute leider weitgehend fehlt. Zwar wird zurzeit die bedeutung von baukultur von verschiedenen organisationen getragen, was ich als positive entwicklung wahrnehme. Doch der baukultur müsste zwingend ein überzeugender übergeordneter städtebaulicher rahmen zugrunde liegen, der weit über die parzellengrenzen hinausgeht.

Ich möchte hier auf ein thema hinweisen, mit dem ich mich zurzeit intensiv gesamtschweizerisch befasse: historische verdichtungsprozesse in stadt und dorf und was wir daraus für zukunftsfähige siedlungsentwicklungen lernen können, nach dem motto: «Wir können die alten städte und dörfer nicht nachahmen, aber wir können von ihnen lernen». Dabei geht es mir in keiner weise um nostalgie oder historisierung, sondern um das erkennen von grund- und strukturelementen des historischen städte- und ortbaus und der prozesshaftigkeit von verdichtung nach innen im sinne der geschlossenen bauweise. In historischen stadtkernen ist die geschlossene bauweise eine selbstverständlichkeit, in grösseren städten in form von blockrandbebauungen auch noch in zentrumsnahen quartieren.

In historischen dorfkernen ist uns die geschlossene bauweise jedoch weniger oder kaum bewusst. Dabei gibt es verschiedene regionen in der Schweiz, wo die geschlossene bauweise in dorfkernen auf vielfältige art mehr oder weniger bis stark ausgeprägt ist und wo verdichtungsprozesse auch ohne bauuntersuchung oft gut ablesbar sind oder durch historische ortspläne oder bildquellen veranschaulicht werden. Verdichtung nach innen war ein prozess, bei dem einzelbauten nach und nach zu einer geschlossenen häuserzeile zusammengebaut wurden. Das setzte voraus, dass einzelbauten verdichtungsfähig konzipiert wurden.

Gerade in ländlichen gebieten ist die zersiedlung vor allem mit freistehenden einfamilienhäusern sehr ausgeprägt und der kontrast zu einem dichten historischen dorfkern geradezu schockierend: strukturlose, unökonomische, bodenverschwenderische überbauung von einzelparzellen ohne jegliche städtebauliche qualität. Kartenbilder wie von swisstopo zeigen das – je nach topografie – oft noch drastischer und augenfälliger als eine betrachtung vor ort.

Können wir durch beobachtung und analyse historischer verdichtungsprozesse situationsgerechte und zukunftsfähige lösungsansätze herleiten, um dieses siedlungschaos längerfristig durch verdichtung in städtebauliche qualität zu transformieren?

Die geschlossene bauweise könnte dazu einen beitrag leisten, wenn sie differenziert und qualitätsbewusst eingesetzt wird und wenn künftige einzelbauten verdichtungsfähig gedacht werden.

Die geschlossene bauweise, so wie ich sie verstehe, muss mehr sein als eine zufällige ansammlung von reihenhäusern – sie erfordert zwingend städtebauliche qualitäten, ermöglicht dies aber auch viel besser als die offene bauweise.

Die thematik ist sehr vielschichtig und das bewusstsein dafür fehlt nach meinen beobachtungen noch weitgehend. Entsprechende planungsinstrumente und eine baugesetzgebung, welche u. a. grenz- und gebäudeabstände flexibler anwenden lässt, müssten erarbeitet werden. Das ist aber nur möglich, wenn ein entsprechendes städtebauliches qualitätsbewusstsein auf verschiedenen ebenen gefördert wird: bei planungsfachleuten, architekten, baubehörden, bauherrschaften und in der bevölkerung.

Ich bin weder planerin noch architektin. Als promovierte historikerin habe ich 7 jahre bei der kantonalen denkmalpflege in Bern im bereich ortsbildpflege gearbeitet und anschliessend 21 jahre an der architekturabteilung der berner fachhochschule architekturgeschichte unterrichtet. Seit meiner pensionierung befasse ich mich mit der thematik historischer verdichtungsprozesse vor allem in dörfern. Dieser für mich neue fokus fasziniert mich sehr und eröffnet mir neue erkenntnisse und einen erweiterten blickwinkel zur verdichtungsthematik. Diese erkenntnisse möchte ich in einer allgemeinverständlichen und reich illustrierten publikation, an der ich zur zeit arbeite, einem breiteren publikum zugänglich machen.

Die autorin verwendet die gemässigte kleinschreibung, laut der nur satzanfang und eigennamen grossgeschrieben werden.

Foto: Heidi Alder, 2019-04-06

Ennenda GL, Mühlestrasse, gartenseite: die älteste häuserzeile des dorfes ist ab ende des 18. jahrhunderts in einem langjährigen verdichtungsprozess entstanden.

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