Vereinigung für guten Städtebau

Meinungen

08.11.2023

Lesezeit: 4 Min.

Manifest – ein weiterer Baustein zur Stadtwerdung

Meinungsbeitrag von Prof. Dr.-Ing. Jürg Sulzer

«Neue urbane Qualität» war das Thema des Nationalen Forschungsprogramms NFP-65. Das Programm schliesst 2015 mit einem Synthesebericht, der die «Stadtwerdung der Agglomeration» zum Kernziel einer neuen urbanen Qualität erklärt. Allerdings sind wir noch weit entfernt, die Thematik der Stadtwerdung gemeinsam voranzubringen. Die «Vereinigung für guten Städtebau», Urbanistica, bietet mit ihrem Manifest einen weiteren Baustein zum Dialog. Dank eines lebendigen Diskurses werden die verschiedenen Ansätze zur inneren Verdichtung Früchte tragen. «Stadtwerdung» wird zur Selbstverpflichtung zukünftiger räumlich-baulicher Entwicklungsprozesse in unserem Land. Hierzu sind umfassende stadtplanerische Erfahrungen auf kommunaler Ebene geboten.

Öffentlicher Raum – neue Stadtplanung

Es ist erfreulich, dass nach mehr als 20 Jahren die Stadtberner Strategien der räumlich-baulich ausgerichteten Stadtentwicklung heute ebenso aufgegriffen wird wie der Synthesebericht zum NFP-65 «Stadtwerdung der Agglomeration». In ähnliche Richtung gehen Ideen und Konzepte, wie sie beispielsweise die Stadt Zug 2019 mit ihrem «Stadtraumkonzept Zug 2050» vorgelegt hat oder wie sie die Stadt Fribourg seit einigen Jahren praktizieren. Mit dem Manifest von Urbanistica werden die stadträumlichen Anliegen und Forschungserkenntnisse theoretisch betätigt. Wir müssen den Umbau unzähliger anonym wirkender Siedlungen in unserem Land kreativ voranbringen. Beispielsweise ist das Limmattal im Westen von Zürich inzwischen eine überaus grosse und dichte Siedlung geworden. Ihr Bild erinnert aber fast ausnahmslos an eine weitgestreckte Ansammlung von längeren, höheren oder kürzeren Häusern. Es fehlt eine koordinierte Ausrichtung auf qualitativ hochstehende öffentliche Räume, wodurch eine Stadtwerdung selbstverständlich wird. Infolgedessen müssen wir – um bei diesem Beispiel zu bleiben – an einer überzeugenden Raumbildung von Ortsteilen arbeiten. Gleichzeitig sollten wir daran denken, dass die «Davos-Erklärung» von 2018 mit den vorgelegten Kriterien einer besonderen Baukultur, die das Bundesamt für Kultur (2020) vertritt, unsere Bemühungen enorm stärken. Unter hoher oder besonderer Baukultur wird die qualitativ hochwertige Gestaltung der gebauten Umwelt als Ganzes gesehen. Auf den sozialen Zusammenhalt soll geachtet werden, eine nachhaltige Umwelt sichergestellt sein und das Wohlbefinden der Menschen sei besonders wichtig. Dass dies von einem Bundesamt in unserem Land gefordert wird, ist einmalig und bedarf höchster Aufmerksamkeit. «Stadtwerdung» bedeutet den öffentlichen Raum ganzheitlich zu gestalten. In Ergänzung zum nun vorliegenden Manifest ist vor allem eine Offensive zugunsten einer neuen Stadtplanung geboten. Wir müssen eine vielseitige Begeisterung jüngerer Fachleute erzeugen, die eine neue urbane Qualität in der Stadt- und Ortsplanung entwickeln. Sie werden über die hoheitlichen und fachlichen Kompetenzen verfügen, räumlich-bauliche Prozesse im Sinne der Stadtwerdung ganzheitlich zu lenken und mit hoher gestalterischer Qualität zu versehen. Die historische Bedeutung der Stadtplanung muss wieder in die tägliche Arbeit von Stadt- und Ortsplanung einfliessen.

Unsere Erfahrungen ebenso wie das vorliegende Manifest zeigen, dass wir in der Stadtplanung ein neues Denken etablieren müssen: Behörden, Investoren, Grundeigentümer, Planer und Architekten sind gefordert, gemeinsam nach dem Begehren des Schönen im Städtebau zu suchen. Es sollte ein offener Dialog entstehen, der die «Stadtwerdung» in der Stadtplanung und im Städtebau ganzheitlich gewichtet. Das Begehren des Schönen wird zur schönen Erkenntnis, den Städtebau nicht nochmals auf sogenannte «Ein-Themen-Schwerpunkte» zu degradieren. Die Spuren dieser Einzelbetrachtungen weisen zurück auf die «gegliederte und aufgelockerte Stadt» der 1950er, die «verkehrsgerechte Stadt» der 1960er Jahre oder die erste «Ökostadt-Bewegung» der 1980er Jahre. Sie sind warnende Beispiele, was die neue Stadtplanung in Zukunft vermeiden muss. Auch wenn die aktuellen Diskussionen um Klima und Umwelt mehr als berechtigt sind, ist die Gefahr gross, wiederum die Stadtentwicklung auf aktuelle Einzelthemen auszurichten. Stattdessen geht es um das Begehren nach Schönheit im Städtebau im Sinn einer ganzheitlichen Stadtwerdung der Agglomeration mit hoher Baukultur.

Raumgeborgenheit – soziale Ensembles

Wir müssen den Fokus zudem auf eine ortstypische «Raumgeborgenheit» (NFP-65) zugunsten des Wohlbefindens der Menschen legen. Die seelenlosen Zwischenräume einer Agglomerationssiedlung sind zu sozialen Ensembles umzugestalten. Es geht um ganzheitliche raumbildende Quartierensembles mit Baumalleen, öffentlichen Plätzen mit schattenspendenden Baumgruppen und um natürlich konzipierte Wohnhöfe im Innenbereich von Baublöcken und Blockrandbebauungen. Die Häuser bilden den öffentlichen Raum. Jedes Einzelhaus bekommt ein eigenständiges Gesicht. Raumgeborgenheit im Städtebau lässt sich mit hoher baulicher Dichte erzielen und es sind soziale Nachbarschaften zu entwickeln. Eine auf hohe stadträumliche Qualität ausgerichtete Stadtplanung ist Kernvoraussetzung für eine besondere Innenentwicklung unserer Städte und Gemeinden. Sofern die Unterzeichnenden des Manifests die Selbstverpflichtung zu dessen Umsetzung ernst nehmen, kann die Generationsaufgabe der «Stadtwerdung der Agglomeration» gelingen.

Foto: Michel Jaussi

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